Vélo à la provençale

V

Dienstag, 8. Juli
Mann und Frau auf dem Fahrrad, eingehüllt in sexy Regenschutz, verlassen vor 7 Uhr Blätzbums. Um 12 Uhr entsteigen wir, eingecremt und mit Sonnenbrille auf der Nase, dem TGV in Avignon.
Um nicht sofort dem garstigen Verkehr auf den Ausfallstrassen dieser ehemaligen Papststadt ausgesetzt zu sein, pendeln wir mit „la navette“ zum gare centre d’Avignon. Man sucht lange und findet dann die Pension Foch dans la rue Foch.
Die 2 Cresta-Pedaleure tauchen ein in das Treiben des Theaterfestivals auf den Plätzen und Strassen, staunen über den gigantischen Papst-Palast, fahren die ca. 5 km lange Stadtmauer ab.
Ein lautstarker und fast handfester Streit zwischen einem Mann und einer Frau ergänzt die lieblos gekochten Teigwaren der Pizzeria.

Mittwoch, 9. Juli
Petit déjeuner sur la terrasse, bonjour.
Wir suchen und finden nicht eine ruhige Strasse, um gemütlich zum Pont du Gard zu radeln. Nach 10 Kilometern brechen wir dieses Unternehmen ab und tauchen dafür in die endlosen Sonnenblumenfelder auf der ile de la Barthelasse ein. Millionen von liebeshungrigen Grillenmännchen werben lautstark um weibliche Gunst. Wir lassen uns treiben, grandios.
Bière et baguette sur la terrasse, bonne nuit.

Donnerstag, 10.Juli
Mann und Frau testen ihre Geduld und ihre Beziehung auf der überaus regen benützten Ausfallstrasse von Avignon. Ab Chaumont sur Durance wird es gemütlicher. In Cavaillon suchen und finden wir nicht die Wegweiser des Fahrradwegs autour du Luberon. Auch die Polizei weiss von nichts, um 14 Uhr öffnet glücklicherweise l’office de tourisme. Sehr schnell wird es schwitzig. Im Luberon thronen seit sehr langer Zeit schmucke Ortschaften, wie beispielsweise Maubec und Pooède, auf den Hügeln. Jeder Abfahrt folgt die nächste Steigung. Bei unserem Anblick pressen sich Kindergesichter erstaunt und ungläubig an die Autofenster. Die letzten 10 der heutigen 76 Kilometer rollen wir auf einer neu errichteten Piste Apt entgegen. Über dieser schmucken Kleinstadt thront das Gästehaus Mylette, wo wir die nächsten 4 Nächte schlafen werden.

Freitag, 11. Juli
Petit déjeuner sur la terrasse mit Blick auf den Mont Ventoux , le jour commençe bien. Tagsüber erfahren wir einen Teil der balade des ocres. Die Gesteinsformen in Rustrel erinnern an den Brice-Canyon in Utah. Offen und versteckt präsentieren sich kleine und riesige Lavendelfelder, bevölkert von Bienen und Schmetterlingen. Die Hitze verstärkt den Parfumduft der Lippenblütler, betörend.
Das Auge erkennt nicht die Auswirkungen der eingesetzten Pestizide, welche zu einem Massaker an Bienen in der Provence geführt haben. Ausnahmen sind die natürlich gehaltenen Lavendelfelder, welche aber alle 5 – 6 Jahre erneuert werden müssen. Abends stärken wir uns nach den 50 Kilometern mit Tapas und bière. Wolkenparaden verschiedener couleurs ziehen gemächlich vor unserem Zimmer vorbei.
Mann staunt.

Samstag, 12. Juli
Samstag ist Markttag in Apt. Bis 13 Uhr pulsiert das Leben auf den Plätzen, in den engen Gässchen und in den Restaurants.
Mann’s bescheidene Haarpracht schwindet unter den flinken Fingern und der scharfen Schere der jungen Coiffeuse.
Die lecken präsentierten Lebensmittel wecken unseren Appetit. Auf der schattigen Gartenterrrasse des Restaurants „au platane“ geniessen wir le plat du jour et le vin rosé, exquisit.
Ältere Männer ziehen beim Pétanque-Spiel ihre Kugeln mit einem Magnet, welcher an einer Schnur festgemacht ist, elegant vom Boden hoch.
Abends kommt Apt schnell zur Ruhe, wir auch.

Sonntag, 13. Juli
Heute erkunden wir den anderen Teil der balade des ocres. Le sentier des ocres in Roussillon, scheinbar un des plus beaux villages de la France, beeindruckt mit seiner Farbenpracht. Bereits die Römer haben aus dem Gestein Farbe gewonnen. Samuel Beckett versteckte sich hier vor der Gestapo und schrieb „warten auf Godot“. Joucas, 5 Kilometer entfernt und verschont von Tourismusströmen, präsentiert sich erhaben und gelassen in der Mittagshitze,.
Baguette, geschenkte Patisserie munden nach den ca. 45 Kilometern beim abendlichen cinéma des nuages auf unserer Terrasse.

Montag, 14. Juli
Dommage, mais on quitte Apt. Auf einsamen Strässchen nehmen unsere Sinne Lavendel, wilden Thymian, Rosmarin, elegante Steinhäuser, die Hitze, tanzende Schmetterlinge und Libellen wahr. Nach der ruppigen Steigung erzählt uns ein älterer Mann in Céreste seine Lebensgeschichte. Er sprudelt, scheint froh zu sein, Gesprächspartner zu haben. Wir geniessen in der hostillerie l’Aiguebelle un formidable dîner. Gestärkt nehmen wir die letzten Steigungen zur Prieure de Carluc in Angriff. Auf holprigen Wegen geht es zur gite „le verger“ unterhalb von Reillanne. C’est bon d’enter dans la piscine. Nathanael, Enkel der Gastgeberin, zeigt uns stolz seine rasanten Fahrten auf dem Minitraktor. Abends parlieren und essen wir mit anderen Gästen der gite. Yoko zog vor 11 Jahren nach Neuseeland, um dem Arbeitsstress in seinem Heimatland Japan zu entfliehen. Seit 1 Jahr leben er, seine Frau und ihre Tochter in Zürich, wo es scheinbar eine japanische Schule gibt. Die Familie bereist die Provence mit dem Mietauto, fliegt nach Lissabon, fährt mit dem Mietauto nach Südspanien, um von dort für 3 Tage nach Marokko über zu setzen.

Dienstag, 15. Juli
Eine steile Strasse führt nach Reillanne. Auch hier erinnert eine Gedenktafel an die Gefallenen der letzten Kriege. 30 junge Männer aus diesem Dorf, in welchem 1914 knapp 1000 Menschen lebten, starben im 1. Weltkrieg. Quelle tristesse totale!
Weiter geht es ca. 6 Kilometer hoch. Das letzte Teilstück bis Vachères erklimmen wir zu Fuss, unseren Untersatz stossend, fast ziehend. Alle Hänge um diese sehr kleine Ortschaft sind von Lavendeln bedeckt. Une fête pour les yeux.
Rasant geht es runter, die Strässchen gehören uns. Schlussendlich kraxeln wir wieder nach Céreste und zur Prieure de Carluc hoch. Baguette und Tomaten munden nach den ca. 40 Kilometern. Fliegen und Hunde würden zu gerne mit uns das Zimmer teilen.

Mittwoch, 16. Juli
Einmal ist kein Mal. Darum wieder hoch Richtung Vachères. Runter nach Aubenas – les Alpes glühen die Bremsen. Die anschliessende sonnig satte Steigung nach St. Michel- l’Observatoire entlastet Arme und Finger. Seit 1937 steht hier das Observatorium der Haute Provence. „Le ciel est plus pur et il y a beaucoup nuits sans nuages“, wird uns erklärt. Runter und dann rauf nach Dauphin, ein malerisches, leider Bistro freies Dorf. Runter und dann lange rauf nach Forcalquier. Der Barometer an der Apotheke zeigt 38 Grad. Eau minérale et une salade aux tomates sont bienvenus.
On cherche et on trouve mit Hilfe der Ambulanz le gite „la Beaudine“. Mutter und Tochter bewirten auf dem riesigen Gelände dieser ehemaligen ferme bis zu 17 Personen. Se bronzer, entrer dans la piscine, jouer Pétanque… Ferienstress pur.
Abends geniessen wir die soupe au pistou, elle est riche et délicieuse.
Valentin, unser sehr junger Tischnachbar, spielt in Grenoble Handball. Wir haben Freude aneinander.

Donnerstag, 17. Juli
La vie en Provence est chère. Il faut organiser de la monnaie. Warum schleppen wir unsere Vélos auf die sehr hoch gelegene Zitadelle?
Auch in Forcalquier sind etliche Gebäude zum Verkauf ausgeschrieben Wovon leben die Leute ausserhalb der Touristensaison?
Frau und Mann radeln nach Mane, um die jardins de Salagon zu besichtigen. Il fait vraiment trés chaud. Die gemütlichen Sitzgelegenheiten im Schatten der Bäume nützen wir rege. Ein Angestellter wirbelt mit seinem Blasgerät fleissig Staubwolken auf.
Wir suchen und finden eine weniger stark benützte Strasse rauf nach Forcalquier. Ein gemütlicher Tag mit ca. 20 Kilometern auf dem Fahrrad findet seinen Abschluss mit baguette und tomates.

Freitag, 18. Juli
Um 7 Uhr einen Kaffee schlürfen, on y va. Die Fahrt nach Villeneuve ist spektakulär. Wir sind der Adel der Strasse. Wunderbare Eichenhaine stehen geduldig Spalier.
In Voix ist es Zeit für das erste Baguette und einen Kaffee. Manosque hat den Flair einer kleinen Grossstadt.
Auf einem Feld unter einer Eiche stärken wir uns mit Früchten, Nüssen und Baguette. Beharrlich steigt die Strasse hoch nach Pierrevert, wo um die Mittagszeit Knaben in der brütenden Sonne Fussball spielen, arbitriert von einem jungen Mann im Schatten einer Linde. In stetem Auf und Ab passieren wir etliche sehr stattliche Weingüter.
Endlich taucht in der Ferne das mittelalterliche Beaumont de Pertuis auf. Zu Serena und son gite steigt es zur Abwechslung spürbar hoch. „On est complet“, begrüsst uns die Hausherrin. Die digitale Reservation, festgehalten auf einer weltbekannten Obstmarke, veranlasst sie, in Windeseile ein Gästezimmer herzurichten. Ihr Partner, ein bekennender korsischer Nationalist, unterstützt sie.
On a faim, on cherche et on ne trouve rien à manger dans ce joli village.
Alors on boit de la bière, bis le petit magasin ouvre les portes. Wir schätzen nach den erschwitzten 55 Kilometern Brot, Tomaten und Thon. Fledermäuse segeln nachts zielsicher unter dem Sternenteppich umher. Je suis heureux.

Samstag, 19. Juli
Nach 6:30 Uhr sind wir in der ersten langen Steigung. Den nächsten 2 Hügeln zeigen wir die kalte Schulter, indem wir die Strasse nach Grambois wählen. Zur Abwechslung erreichen wir dieses Juwel einer Kleinstadt nach einer rasanten Abfahrt. Im sehr pittoresken Cucuron gleicht der Dorfbrunnen einem riesigen Schwimmbassin. Wir kaufen neue Briefmarken, da die älteren, Hitze bedingt, sich alle auf einer Postkarte eingeschweisst haben. On monte et on descend, on mange baguette et fruits.
Nach Merindol rollen wir 10 Kilometer flach Obstplantagen entlang Richtung Cavaillon, Anfang und Ende unserer Luberon-Rundfahrt. On fête les 89 kilomètres avec Crêpes, salade, frites, bière et glacé.

Sonntag, 20. Juli
SanfterRegenbegleitetdaseinfacheFrühstückinderBoulangerie. Ab12Uhrnimmtdie Gendarmerie die selbst ernannte Hauptstadt der Melonen in Besitz. Sie riegelt die Hauptstrassen ab, um 15 Uhr soll der Tross der Tour de France sehr kurz seine Aufwartung machen.
Um 12:57 fährt der Zug nach Arles. Um 12:52 Uhr wird das Tor zu den Geleisen aufgeschlossen. „Des gens se jettent devant le train“!!
In Arles erleben wir einen imposanten Wolkenbruch. Wasserfälle ergiessen sich über die Treppen vor dem Amphitheater . Unsere Satteltaschen bestehen den Acqua-Test mit Bravour.
Abends wählt Mann schlecht, die Bedienung im Restaurant n’est pas du tout aimable. Unsere Vélos ruhen in der Garage, wir im Zimmer 6 des Hotels Regency, mit Blick auf die Rhone und einen grossen Bagger.

Montag, 21. Juli
Lautstark rammt der Bagger morgens Metallpfosten in den Flussgrund. On achète baguette, fruits, eau minérale. On y va, Ziel ist Saintes Maries de la Mer in der Camargue. On cherche et trouve petites rues. Es ist flach, still, einsam. Pferde, Stiere, Möwen und Flamingos bewegen sich langsam in der Hitze, wir auch. Nach Méjanes holpern wir une heure über Stock und Stein.
On mange bien im sehr touristischen. Saintes Maries de la Mer. Le tagliatelle à la provençale sind lecker und motivieren, nach Arles zurück zu strampeln. Der Mistral ist eher schwach, stärker möchte ihn Mann nicht gegen sich haben. Vor Arles treffen wir ein Radlerpaar aus Neuseeland, eingekleidet von Aldi und 3 Monate in Frankreich unterwegs.
Die 86 Kilometer geben beaucoup de soif, la bière est trés grande et trés chère, 28 Euro!!. In der Nacht wacht Mann auf und weiss nicht, wo er ist.

Dienstag, 22. Juli
Die Velos erhalten nach den vergangenen 560 Kilometern eine Ruhepause. Sie leisteten sackstarke Arbeit, félicitations. Frau und Mann sind sehr froh, keine Panne erlebt zu haben.
Es windet stark, on se promène in dieser historisch unglaublich reichen Stadt. Erlebte Vincent van Gogh ein schmuckeres Arles? Heute sind viele Gassen und Plätze schmutzig, Zeichen der Wirtschaftskrise?
Dîner au parc, Baguette, tomates, fromage. On cherche et on trouve finalment le pont du van Gogh. Ein Reisebus entlässt für ca drei Minuten japanische TouristInnen, bepackt mit Kameras und iPad. Yvonne und Klas aus Alkmaar haben Freude an den Photos von Frau.

On est fatigué, hört Musik auf einem kleinen Platz.

Mittwoch, 23. Juli
Früh nimmt der Bagger seine Arbeit auf. Langsam verabschieden wir uns von Arles.
Die Zugfahrt von Arles nach Avignon centre dauert lediglich 15 Minuten. Am gare TGV wähnt Mann sich an einem Flughafen.
Auf dem Geleise 4, Abschnittsbereich W, steigt das radelnde Liebespaar um 15:52 Uhr in den Wagen 18 ein. Adieu belles vacances et au revoir Provence.

Montag, 4. August
Schliesse ich die Augen, sehe ich Schmetterlinge ins summende Lavendelmeer eintauchen, wunderbare Dörfer mit idyllischen Plätzen im Schatten riesiger Platanen ruhen, quirlige Grashüpfer. defekte Strassen, rieche von Sonne beschienene Feigenbäume und Pinien, höre das Knacken des Baguette, zirpende Eichenhaine, „peinne für pain“, „ponne für pont“, fühle das Brennen der Sonne auf meinen Unterarmen und Waden, Sehnsucht nach dem Lubéron, Zufriedenheit und Dankbarkeit.

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