Unverhofft unterwegs – Tage 2 bis 4

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Am zweiten Tag unserer Velotour befreite ich unsere zweirädigen Freunde aus dem dunklen, kühlen Raum beim Baseltor in Solothurn.

Während sie sich in der Morgensonne aufwärmten, besuchten wir die kühle St. Ursenkathedrale.
Ich mag sie und das schmucke Städtchen Solothurn.

Weiter ging es in Richtung Biel. Die Storchensiedlung bei Altreu wirkte trist und verlassen. Alle Weissstörche hatten bereits ihre Winterresidenz in Spanien bezogen.

Beim kleinen Naturschutzgebiet Hälftli bei Büren wähnten wir uns in der Karibik.
Im kristallklaren Wasser tummelten sich kleine und grosse Fische. Baumstämme ragten, vertrockneten Dinosaurierhälsen gleichend, aus dem Wasser.

In Biel führt der Veloweg dem 240 Meter langen Hauptsitz von Swatch vorbei.
Der japanische Architekt Shigeru Ban plante und verwirklichte ein Gebäude, hauptsächlich aus Holz erstellt, welches meine Fantasie anregte. Fuhren wir einer riesigen Echse entlang, welche neugierig auf den Bielersee schaut oder besitzt eine gigantische Bienenkönigin einen Reptilienschwanz?
Ich bin tief beeindruckt.

Via Erlach gelangten wir zum Kanal, welcher den Bieler- und den Neuenburgersee verbindet.
Nach St. Blaise rollten wir auf einem fantastischen Velo-Boulevard Neuchâtel entgegen. Auf unserer linken See glitzerte der See, luden sehr grosszügig angelegte Parkanlagen zum Entspannen ein.

In der Hauptstadt des Kantons Neuenburg luden die Brasseries uns vergeblich zu einem deftigen Menü, zum Beispiel Schweinsfüsse, ein.
Ich finde immer noch speziell, dass diese Region lange zu Preussen gehörte.

Leichtpneuig ging es am nächsten Morgen dem See entlang Richtung Yverdon – les-Bains.
Sympathisch wirkt die künstlich angelegte Bucht am Ende des gigantischen Gebäude von Philip Morris. Die grossen Steinblöcke verleihen ihr den Hauch einer römischen Arena mit Blick auf den See.

Ab Cortaillod gehören die Jurahügel den Reben. Aus Lautsprechern ertönten Gewehrschüsse und aggressive Laute von Vögeln. Vogeldrachen wirbelten in der Luft. Die Abwehrmassnahmen scheinen zu funktionieren, wir sahen keine gefiederten Freunde im unendlichen grün-blauen Traubenmeer.

Nach dem Château de Corgier sausten wir durch einen Zauberwald. Feuerspeiende Füchse, geflügelte Rehe, Einhorn-Eichhörnchen, versteckt hinter mächtigen Bäumen, staunten über unser Tempo.

Zwischen Vaumarcus und Concise liessen wir unsere Beine auf einer Steinmauer baumeln, genossen das Sein und die Aussicht auf den Neuenburgersee, welcher hier einem Meer in südlichen Gefilden gleicht.

1476 litt das Städtchen Grandson unter der Belagerung der Burgunder. Heute kommen dieser Funktion grosse Wohnwagen-Kolonien nahe, gut versteckt in lichten Waldstücken.

Vor 70 Jahren lebte meine Mutter als jeune fille, heute Au-pair genannt, bei einer Gastfamilie in Yverdon-les Bains um französisch zu lernen.
Nach einigen Monaten nahm sie, ohne jemandem Adieu zu sagen, Reissaus. Sie war den Nachstellungen ihres Gastvaters überdrüssig geworden.

Seit ihrem Aufenthalt in der Romandie mag meine Mutter Geflügelfleisch nicht mehr.
Ihre Gastmutter hatte die Angewohnheit auf dem Hühnerhof Mäusegift zu streuen.
Auch einigen Hühnern bekam diese Kost nicht gut. Die vergifteten Hühner musste meine Mutter dann entfedern und kochen.

Le château d’Yverdon und die kleine Altstadt scheinen recht erfolgreich der Belagerung der Moderne getrotzt zu haben. Wahrscheinlich würde meine Mutter heute sich problemlos wieder zurechtfinden.

Meine Geliebte und ich geniessen den Aufenthalt im lokalen Thermalbad.
Formidable.

Am vierten Tag planten wir nach Murten zu fahren. Zwischen Yerdon-les-Bains und Estavayer-le-Lac pedalten wir durch das grösste Feuchtlandschaft-Schutzgebiet der Schweiz, la Grande Cariçaie.
Wir schreckten unbeabsichtigt einen Marder und eine Ratte auf.

Vor Bussy sassen Möwen, sie glichen von Weitem weissen Segelschiffen, gemütlich auf einem Acker. Auf einem anderen Acker hüpften schwarze Raben nervös auf den Schollen umher.

Vor dem Militärflughafen Payerne suchte ein hungriger Fuchs am Wegrand nach Mäusen.

Einem romantischen Kanal folgend gelangten wir nach Payerne, wo wir die grösste romanische Kirche der Schweiz, die Abteikirche Payerne, besuchten.
Mit Hilfe des elektronischen Museumsführers tauchten wir in deren Geschichte und Architektur ein.
Kleine Seitenfester im Kirchendach ermöglichen das Eindringen von matt-weichem Licht in den Innenraum des Kirchenschiffs, schaffen zusammen mit der Stille eine eindrückliche und beruhigende Atmosphäre.
Vraiment impressionnant.

Vor 15 Uhr begann der Himmel zu weinen.
Unverhofft und spontan beendeten wir darum unsere Traumreise durch Regionen von BL SO BE NE VD FR auf zwei Rädern, stiegen in den Zug ein, in Kerzers, Bern und Olten um und in Muttenz schlussendlich aus, wo der Himmel auch weinte.

6. September 2022

1 Kommentar

  • Lieber Markus
    Wunderschön geschrieben.
    Ich kenne die meisten Orte vom Campieren…
    Uns zieht es immer wieder dorthin.
    Aare, Solothurn, 3-Seenland.
    Lieben Gruss
    Beat