Zivilcourage – Mut

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Den Mutigen gehört die Welt oder der Rhein im Herbst. Regelmässige kühle ich in ihm mein Mütchen.

Nun bin ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher, seit ich parallel “Mutiger, klüger, verrückter – Frauen, die Geschichten machten” von Gerhard Jelinek und “Mutige Menschen, Frauen und Männer mit Zivilcourage” von Ulrich Kühne lese.

Unterschiedlich und enorm spannend sind die Biografien der porträtierten Frauen und Männer.
Eigen ist ihnen, dass sie ihrem Gewissen, ihrem Herz und ihrer Überzeugung folgend sich gegen Mehrheitsströmungen in ihrem Umfeld zur Wehr gesetzt haben.

Für den deutschen Schriftsteller und Journalisten Kurt Tucholsky war klar, dass nichts schwerer sei und nichts mehr Charakter erfordere als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut “Nein” zu sagen.

Viele der erwähnten Personen bezahlten für ihr Engagement gegen Diktaturen, gegen beengende gesellschaftliche Normen, für die Gleichberechtigung von Frau und Mann durch soziale Ächtung, Berufsverbot, Haft und teilweise den Tod einen enorm hohen persönlichen Preis.

Heute, nach ihrem Tod, werden sie gewürdigt und bewundert.

Die beschriebenen Frauen und Männer glänzten nicht durch physische Stärke, hingegen waren sie wach- und aufmerksam, besassen Ideale, hatten den Willen eigenständig zu denken und zu handeln.

DIE Zivilcourage gibt es nicht, enorm facettenreich sind ihre Ausdrucksmöglichkeiten.

Olympe de Gouges starb 1793 in Paris unter dem Schafott.
Ihr Vergehen war ihr Engagement für die Gleichberechtigung der Frau. Sie wollte und konnte die Verfügung der französischen Regierung, dass Kinder, Irre, Minderjährige, Frauen und Kriminelle kein Bürgerrecht erhalten sollten, nicht akzeptieren.
Sie wehrte sich mit Eingaben an die Behörden, mit Leserbriefen.
Als sie eines Abends in Paris verbotenerweise Plakate, auf welchen sie mehr Demokratie fordert, aufklebt, wird sie erwischt und verhaftet.
Sie wird des Anschlags auf die Volkssouvärenität angeklagt, schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt.
Ihren Idealen schwört sie nie ab.

Kurt Schumacher, ein deutscher Sozialdemokrat, verlor im Ersten Weltkrieg einen Arm. Im deutschen Parlament nahm er stets äusserst klar Stellung gegen Adolf Hitler.
Dessen Angebot, eine Verzichtserklärung auf politische Betätigung zu unterschreiben und dafür nicht verhaftet zu werden, lehnte Kurt Schumacher ab. Mehr als 9 Jahre verbrachte er daraufhin in Konzentrationslagern.
Nach dem Kriegsende politisierte er erneut an der Spitze der SPD. Eindrücklich sind die Videos, auf welchen der brandmagere Politiker flammende Reden hält und mit seinem verbliebenen Arm wild gestikuliert.

Wie couragiert bin ich?
Berechtigt ist die Frage und spannend die Auseinandersetzung mit mir selber, die Erkenntnisse sind nicht ausschliesslich ermutigend.

Ist Zivilcourage erlernbar? Ich erhoffe es mir und glaube an die Kraft von Beispielen.

Ein Erlebnis meines Schwiegervaters und meiner Schwägerin höre ich immer wieder gerne.
Er besass und leitete eine Maschinenfabrik in der Kleinstadt Joaçaba im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina. Die Auslieferung der produzierten Güter war äusserst beschwerlich, asphaltierte Strassen fehlten vollständig.
Aus Protest verteilte er an alle Lastwagenchauffeure farbige Aufkleber mit dem Text “Auch ich bin ein Opfer der Strassen von Santa Catarina”.

Diese Protestaktion kam, Brasilien wurde damals vom Militär regiert, bei den Behörden nicht gut an.
Meinem Schwiegervater wurde der Besuch der Bundespolizei angedroht. Er lud sie ein und bat darum mit dem Auto und nicht mit dem Flugzeug anzureisen.
Die Polizei kam, verhörte ihn und zog von dannen.
Ihm konnte nicht nachgewiesen werden, dass er betrogen oder Falsches behauptet hatte.

In der Zwischenzeit dekorierte meine Schwägerin, sie war 18 Jahre alt, das Auto des Gouverneurs mit diesem Protestkleber.
Sie wurde auf frischer Tat ertappt und erhielt eine Gratisaudienz beim höchsten Beamten von Santa Catarina.

Als ich 17 Jahre nach diesem Vorfall das erste Mal Brasilien besuchte, rollte unser Autobus auf Asphaltstrassen nach Joaçaba hinein.

7. Oktober 2021


1 Kommentar

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  • Lieber Markus
    Dein Text passt sehr gut zu meiner aktuellen Strandlektüre: Machiavelli, Der Fürst

    Und ich denke, gerade heute sollten wir alle genauer hinschauen und dezidiert unsere Position vertreten, z.B. gerade bei den Steuerparadiesen der Reichen und Mächtigen dieser Welt.

    Sonnige Grüsse aus der Bucht von S.Tropez.
    Beat