Ondas

O

Fasziniert und staunend stehe ich vor den violetten Krokussen nahe am Basler Rheinbord.
Schüchtern, eventuell ängstlich, halten sich einige Blumen verschlossen. Andere präsentieren sich äusserst freizügig und scheinen die Sonnenstrahlen mit vollster Hingabe einzuladen und aufzusaugen.

Früh erfreuen sie uns.
Kann es sein, dass ihnen momentan das warme Erdreich unheimlich geworden ist und sie darum den kühlen Aussentemperaturen den Vorzug geben?
In ihrer Nähe ist ein oranges Gerät an einem Gitter festgezurrt. Dieses Geophon hat 10’000 Kumpels in der Region, sie alle sollen die Schallwellen im Boden, ausgelöst durch Lastwagen, Vibro Trucks genannt, festhalten und aufzeichnen.

Die gesammelten Daten sollen Aufschluss darüber geben, ob die Bodenbeschaffenheit in der Regio Basiliensis den Bau einer weiteren Geothermieanlage in Riehen ermöglicht.
Dies als Konsequenz der momentan grünen Welle in der Basler Regierung, welche den fossilen Energieträgern einen bestimmten Finger zeigen will.

Auf meiner ersten Reise in Brasilien erfuhr ich die umwerfende Wirkung von Ondas, das portugiesische Wort für Wellen, am eigenen Leib.
In Natal, eine Stadt im Nordosten Brasiliens, spielte ich am Strand body-surfing, indem ich heranrollende Wellen abwartete um mich von ihnen mittragen zu lassen. Es war lange toll.
Dem Spass setzte eine starke Wellenfront ein Ende, welche mich auf ein Felsenriff schleuderte, von dem ich Gringo bis anhin keine Ahnung hatte.

Im Nu war mein sonnengebräunter Rücken abgeschält. Dies schmerzte weniger als die Flasche Alkohol, welche eine praktisch denkende Apothekerin humorlos über meinen lädierten Hinterkörper leerte.

Die zweite Gringo-Erfahrung mit Ondas machte ich an der Copacabana in Rio. Zu meinem Erstaunen war ich an diesem Strandabschnitt fast der Einzige, welcher ins Wasser eintauchen wollte.
Eine Welle warf mich Meisterschwimmer auf den Rücken, gleichzeitig liessen starke Wasserwirbel ihren Kräften freien Lauf.
Ich verlor vollständig die Orientierung und fast meine Badehose. Schlaff hing sie schlussendlich an meinen zitternden Knien.
Meine Geliebte wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

Wenige Jahre später war ich den Tränen nahe, als die Ultraschall-Untersuchungen beim Frauenarzt meiner Frau es uns ermöglichten, unsere Kinder das erste Mal visuell wahrzunehmen.

Heute geniessen meine Mutter und ich immer wieder zusammen den Radiosender Musikwelle.
Mich berühren die oft zittrigen, brüchigen Stimmen der älteren Personen, welche telefonisch ihre Lieben und Bekannten grüssen und sich ein Musikstück für sie wünschen.

Unterschiedlich nachhaltig, vielfältig und berauschend sind meine alltäglichen Erfahrungen mit Wellen.
Sicher bin ich in reicher Gesellschaft.

8. Februar 2022

1 Kommentar

  • Hallo Kussi,
    Wir haben uns amüsiert über Deine “Ondas-Gedanken”. Merci
    Danke, dass Du die Corona -Ondas ausgelassen hast …
    Liebi Grüessli
    Ursula und Ruedi