Königlich unterwegs

K

Die ostdeutsche Band Karat liess sich zu ihrem Song “Über sieben Brücken musst du gehen” sicher nicht von einem Besuch des Doubs bei St-Ursanne inspirieren.

Zu Beginn seiner mehrtägigen Jurawanderung marschiert das Ehepaar diesem wunderbaren Fluss entlang aufwärts der Quelle entgegen. Jung, klar, verspielt sprudelt das Wasser, lädt auch zu einem Bad ein.
Dies im Gegensatz zum französischen Teil, wo der Doubs zunehmend verbrauchter und schmutziger in einem engen Kanal langsam zu verenden scheint.

Bei Tariche möchte und sollte das Paar mit einem kleinen Fährboot über den Fluss setzen.
Das Boot liegt auf der anderen Flussseite, die Kurbel auf unserer Seite im Gras unter der ausgehängten Kette.
Erfolgreich holen wir uns schmutzige Hände beim vergeblichen Versuch die Kette wieder einzuhängen.
Rien à faire.

Wir wandern flussaufwärts und dann wieder ein beträchtliches Stück flussabwärts auf der Suche nach einer Brücke.
Schliesslich hängen wir uns an einer Furt die Schuhe um den Hals und wagen die Durchquerung des Doubs à pied.
Verdutzte Forellen springen immer wieder aus dem Wasser um den zwei mit Rucksäcken beschwerten Wesen zuzuschauen, wie sie tapsig und schwankend auf nassen Steinen Halt suchen und schlussendlich das rettende Ufer erreichen.

Jetzt geht es wieder ein beträchtliches Stück aufwärts um bei Tariche in Richtung Sceut hochzusteigen.
Steil geht es in engen Kurven auf der Sonnenseite des Tals hoch, dem wolkenlosen Himmel entgegen. Unser fliessendes Körpersalz lockt Fliegen an, Schmetterlinge bevorzugen die aufgewärmten Brennnesselfelder.
Unser Atem, Fliegensummen und Vogelgezwitscher erfüllen den Raum, welcher sich weitab jeder menschlichen Zivilisation zu befinden scheint.
Der Kopf wird leerer, das Herz voller, die Beine schwerer.

Die nächsten Tage übersteigen wir mindestens sieben mal sieben Kuhgatter, vertiefen unser Fachwissen über die verschiedenen Systeme.

Abends kommen wir im Hotel de la gare in Glovelier an, wo José Forlani, Besitzer und auch Chef in der Küche, uns das Gefühl vermittelt, eine Nacht lang ein Königspaar zu sein.
Vraiment formidable.

Am nächsten Morgen betreten wir das Amazonasgebiet des Kantons Jura. Durch die enge und mystisch wirkende Combe Tabeillon geht es hoch nach Montfaucon.
Gigantische Blätter der Wilden Rhabarber bedecken grosse Feuchtgebiete neben dem Wanderweg. Moos windet sich schlangenartig Bäumen hoch, Mooszapfen hängen wie Faultiere an Ästen.
Über den einzelnen Teichen tanzt und flimmert es. Am Étang de Bollement beobachten wir fasziniert das Training des lokalen Forellen-Synchronteams. Auf Kommando des unsichtbaren Trainerstabs springen zahllose Fische gleichzeitig aus dem Wasser, angelockt von tief fliegenden Mücken.
Quel plaisir.

Herrlich mundet viel später das kalte Bier auf einer sonnigen Terrasse nahe bei der Kirche von Montfaucon mit Blick auf das weite Jura libre.
Am nächsten Morgen teilen wir in der Auberge de la gare in Le Pré-Petitjean die Konfitüre mit Fliegen, welche Abwechslung zum nahen Pferdestall suchen.

Wir lassen uns weiter treiben, Wolken begleiten uns treu.
Bei Les Rouges Terres stehen wir gebannt vor einem Weiher, in welchem unzählige Frösche sehnsuchtsvoll um Aufmerksamkeit quaken, pfeilschnell von einem Teichrosenblatt zum andern hüpfen. Der Teich scheint zu kochen.
Ich frage mich, wie schüchterne, zurückhaltende Froschmännchen es hier schaffen, die Gunst eines Froschweibchens zu gewinnen.
Bonne chance, mes amis!

Bald darauf erreichen wir den skandinavischen Teil des Juras. Wir spazieren auf weichem Moorboden um den herrlichen Étang de la Gruère, in welchem ich mich vor ca. 20 Jahren an einem Herbsttag erfrischt hatte.
Föhren spenden willkommenen Schatten.
Quel paradis!

Vor La Theurre bleiben wir fast im Schleim einer Kolonie von Weinbergschnecken kleben. Nach La Theurre wird der Wanderweg sehr schlank, führt durch ein Meer von Blumen und hohen Grashalmen.
Ich fühle mich wie Moses, von dem in der Bibel berichtet wird, dass er sein Volk trockenen Fusses durch das geteilte Meer geführt hat.

Auf und ab geht es durch Waldstücke und über Wiesen, auf welchen träge Kühe nahe bei den salzigen Lecksteinen und den Tränken liegen.
Bei Les Joux säumen prächtige Bäume die 2,5 Kilometer lange Allee.
On y marche!

Der Wind braust, heult Büsche, Grashalme und Baumblätter an, welche ihm auf unterschiedliche Art und Weise antworten.
Wir hören zu, fühlen uns klein und schweigen.

Vor Les Genevez scheinen zwei riesige Linden einer Kapelle Unterkunft und Schutz zu gewähren.
Von Weitem ist der spitze Kirchturm der Dorfkirche erkennbar.
Ich fühle mich an eine Fahrradtour vor Jahren erinnert, als das Ehepaar auf der Schwäbischen Alp sich am höchsten Kirchturm der Welt, er gehört zum Münster in Ulm, orientieren konnte.

Sachte und langsam geht es runter nach Bellelay, wo wir spontan entscheiden, das Queren weiterer Kuhgatter auf die nächste Wandereinheit zu verschieben.
Um 16:16 Uhr rauscht der Formel 1-Bus an, welcher uns nach Glovelier bringt.
Bereichert, benommen und trunken von dem Erlebten nehmen wir diese Fahrt als Kulturschock wahr!

Quelle aventure fantastique!

8. Juni 2022

2 Kommentare

  • Lieber Markus
    Vielen Dank für diesen wundervollen Naturerlebnisbericht.
    Ich stapfte beim Lesen ein wenig mit…
    Lieben Gruss
    Beat

  • Lieber Markus,
    So schön hast Du diese Zeilen wieder geschrieben, herzlichen Dank.
    Ich weile im Moment in Davos, meiner Zweiten Heimat. Ich geniesse die herrlichen Bergwiesen mit ihrer Blumenvielfalt. So schöne, leuchtende Blumen findet man nur in den Bergen.
    Und weiter Obem trifft man den Bergfrühling, der einmalig ist und mich immer besonders berührt. Meine Seele jubelt und meine Füsse sind kaum zu bremsen. Einfach schön.!
    Liebe Grüsse Cécile
    N