Gastfreundschaft

G

Meine Schwiegermutter ist vollständig auf den Rollstuhl und Unterstützung bei jeglichen Verrichtungen im Alltag angewiesen, hat Hör- und Sehprobleme, sehr gepflegte Hände und Füsse, einen unbändigen Lebenswillen und ein grosses Herz.

Ihre Gastfreundschaft ist legendär. Meine Geliebte erinnert sich daran, dass in ihrer Jugendzeit täglich 10 bis 15 Personen am Mittagstisch sassen.

Jeden Morgen absolviert minha sogra, meine Schwiegermutter, Übungen mit mir.
Danach stosse ich sie im Rollstuhl auf ihrem Grundstück, welches nahtlos in einen Teil des Atlantischen Urwalds übergeht, umher.

Wir bewundern die Kletterkünste der Hausgeckos, welche durch Öffnungen der Klimaanlagen schlüpfen, um sich im Hausinnern auf die Suche nach Spinnen zu begeben, die sich gerne auf dem Klodeckel und in der Dusche aufhalten.

Uns wird schwindlig, wenn wir den ruckartigen Flugbewegungen des Beijaflors, eine Art Kolibri, folgen.
Wesentlich gemächlicher flattert der Blaue Falter, der Bomber unter den hiesigen Schmetterlingen. Seine Flügelspannweite beträgt 10 bis 12 Zentimeter.

Gestern Morgen erhob sich uma Hutia vor uns auf die Hinterbeine und schien uns höflich zu grüssen.
Die grosse Baumratte erinnert mich vom Aussehen her an ein Murmeltier in der Alpenregion.

Gebührenden Abstand halten wir vor dem Stachelschwein. Sein watschelnder Gang gefällt mir.
Fühlt es sich bedroht, richtet es den Stachelkranz am Hinterteil hoch um ihn, rückwärts rennend, einsetzen zu können.
Katzen und Hunde in Schwiegermutter’s Garten bekamen dies schmerzhaft zu spüren.

Ich fühle mich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt, wenn ich o Tatu, das Gürteltier, sehe.

A Tamanduà, der Ameisenbär, zieht auf seiner Suche nach Nahrung regelmässig tiefe Furchen in Schwiegermutters Rasen. Gerne stillen Waldhunde und Füchse ihren Durst am neu angelegte Teich.

Wenig Gastrecht genoss vor einigen Jahren hingegen eine Korallenotter, welche sich im Wohnzimmer gemütlich zusammengerollt hatte.
Die Hilferufe meiner Schwiegermutter riefen ihren Bruder auf den Plan, welcher das Reptil kurzentschlossen erschoss.

Auch nicht willkommen war der Blitz, welcher während eines heftigen Gewitters vor einigen Wochen durch die offene Haustüre in die Küche huschte und die Anwesenden gehörig erschreckte, aber nicht verletzte.

Jeden Morgen hege ich die Hoffnung, dass die Papageie in der Zwischenzeit die Tukane und die Affen in der Umgebung informiert haben, dass der Gringo ihnen gerne bom dia sagen würde.

Vamos ver.

Joaçaba, 10. März 2022

3 Kommentare

Leave a Reply to Cecile Huber Abbrechen

  • Die Tierische, die Menschliche Welt und die Naturkräften treffen aufeinander. Welch lebendiger und farbenfroher Spektakel.

  • Lieber Markus, das muss ja ein Paradies sein bei Deiner Schwiegermutter oder ein Zoo. Wie gerne würde ich zwischen all den trolligigen, kuriosen, wunderschönen und liebevollen Tieren herumgehen und mich herzlich freuen. Mein Herz wird warm an den Gedanken.
    Herzlichen Dank, dass Du mich daran teil haben lässt.
    Liebe Grüsse auch an die eindrucksvolle Schwiegermutter
    Herzlichst Cécile