Spinnig

S

Wenn draussen Donner und Blitz einander den Meister zeigen wollen, der Himmel ob dieser Darbietung hemmungslos schluchzt, wird die Lektüre “Die schwarze Spinne” von Jeremias Gotthelf zu einem wahrlich ganzheitlichen Erlebnis.

Sprachgewaltig werden in dieser Sage das Wüten und Toben der schwarzen Spinne und ihres Meisters, der Teufel, geschildert.
Sturmwinde, Orkane, meteorologische Weltuntergangsstimmung verstärken den Effekt der Taten von Luzifer. Er nimmt fürchterliche Rache an den BewohnerInnen von Sumiswald, welche einen Pakt mit ihm gebrochen haben.

Sein Werkzeug ist die schwarze Spinne, vor deren Gift niemand sicher zu sein scheint, bis es einer mutigen Frau gelingt sie in eine Öffnung ihres Hauses zu pressen und diese mit einem Zapfen zu verschliessen.

Längere Zeit motiviert das Wissen, den Teufel in den eigenen vier Wänden eingesperrt zu haben, die HausbewohnerInnen sich korrekt und gottgefällig zu verhalten.
Nach und nach gewinnen aber Vergesslichkeit, Hochmut, Selbstüberschätzung die Oberhand.

Aus einem Scherz wird tödliche Gewissheit, als der Zapfen entfernt wird und die Spinne ihren Rachefeldzug wieder aufnehmen kann.
Erneut werden unzählige Menschen und Tiere Opfer ihres Wütens.

Einem jungen Mann gelingt es schlussendlich sie zu packen und sie wieder in ihr Verlies einzusperren.
Jeremias Gotthelf beschreibt für mich in seinem Werk äusserst spannend, weise und mit eindringlichen Bildern am Beispiel der Emmentaler Gemeinde zeitlos gültige Merkmale des Menschengeschlechts.

Schrecken, Schmerz lähmen, ängstigen. Sind die unheilvollen Momente Vergangenheit, sind Dankbarkeit und bewusstes Handeln angesagt.
Da nichts ewig dauert, beanspruchen mit der Zeit persönliche Interessen in allen Facetten wieder mehr Raum, welche das Gemeinschaftsdenken und die Solidarität auf die Probe stellen können.

Diesen circulus vitiosus kenne ich. Schmerzt beispielsweise mein Knie, unternehme ich vieles, um wieder einsatzfähig zu sein.
Ist mein Ziel erreicht, entwickle ich bald eine liebevolle Toleranz betreffend den sorgsamen Umgang mit mir.

Aus persönlicher Erfahrung weiss ich, dass kurze Auszeiten im Alltag, z.B. in Form von meditieren und bewusst innehalten, hilfreich sind, sich immer wieder auf das zu besinnen, was einem wichtig erscheint.
Auch weiss ich, dass der Erkenntnis nicht automatisch das Tun folgt.

Wäre es für unser Zusammenleben hilfreich, wenn jede Wohnung, jedes Haus obligatorisch eine eingesperrte Spinne hätte, welche sich ruhig hält, so lange die HausbewohnerInnen respekt- und liebevoll miteinander umgehen?

9. Juni 2021

1 Kommentar

  • Lieber Markus
    So schön, deine Gedanken.
    In unserem SIBP-Studium gingen wir als Klasse genau dieses Theaterstück schauen.
    Und am Schluss gabs ein Gewitter.

    Aktuell hab ich die Achillessehne gerissen und bin auf mich zurückgeworfen worden.
    Nun gibt mir dein Text den Anlass dazu, sorgfältig mit meinem geschundenen Körper umzugehen.
    Lieben Gruss
    Beat