Grenzfälle

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Vor dem Historischen Museum ist aus Protest gegen das aktuelle Präsidium des FC Basel ein Mahnmal errichtet worden.
Ausgelegte FCB-Utensilien und klar formulierte Plakate weisen auf einen unüberbrückbar scheinenden Graben zwischen der Fanbasis und der Klubführung hin.

Im Historischen Museum dürfen sich momentan maximal 126 maskierte Personen gleichzeitig aufhalten. Dann schliesst die Barriere.

Die Ausstellung “GRENZFÄLLE, Basel 1933 – 1945” erlebe ich als enorm informativ, hoch interessant und auch schwer, das dunkle Untergeschoss, in welchem die Ausstellung präsentiert wird, trägt seinen Anteil zu diesem Befinden bei.

Zwischen 1933 – 1945 erlebte auch Basel angespannte und von Angst erfüllte Zeiten.

Einerseits erlebte die Grenzstadt eine zunehmende Abschottung nach aussen.
So belegen Filmaufnahmen den Bau eines kilometerlangen Stacheldrahtzauns durch die Wehrmacht um die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz oberhalb von Riehen und Bettingen zu verschliessen.

Andererseits bekämpften sich in Basel Frontisten, fanatische Anhänger von Hitler, und ihnen feindlich gesinnte Sozialdemokraten und Kommunisten.
Schlussendlich verboten der Bundesrat und die Kantonsregierung die Kommunistische Partei und die Gruppierung der Frontisten.

Um im Landesinnern die Bevölkerung zu einen, betonte der Bundesrat das Ideal der “Geistigen Landesverteidigung”.
Ein Höhepunkt dieser Bewegung war 1939 die Schweizerische Landesausstellung in Zürich, welche von 10 Millionen Menschen besucht wurde. Damals lebten ca. 4,3 Millionen Personen in der Schweiz.
In einem Buch über die Landesausstellung ist meine damals vierjährige Mutter spielend im Sand fotografisch verewigt.

Scheinbar waren Merkmale der “Geistigen Landesverteidigung” das Betonen von eidgenössischen Werten und die Ächtung von Kritik am Bundesrat.
Momentan erleben wir einen gehässigen Disput betreffend die Machtfülle und die Politik des Bundesrates in der COVID-Zeit. Die Fronten wirken auf mich verhärtet.

Mit der Aussage “das Boot ist voll” rechtfertigte der Bundesrat eine sehr restriktive Flüchtlings- und Asylpolitik. So wurden Tausende jüdischer Menschen, Abkommen mit Deutschland regelten dies, an den Grenzübergängen abgewiesen.
Einzelne Organisationen und Menschen, z.B. der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, ermöglichten aus persönlicher Überzeugung und auf eigene Faust die illegale Einreise von Frauen, Männern und Kindern, welche vor Verfolgung in der Schweiz Schutz suchten.

Paul Grüninger wurde sein Engagement zum Verhängnis. Ihm wurde von der St. Galler Regierung die Stelle gekündigt, auch musste er wegen Amtspflichtverletzung eine Busse bezahlen.
Er wurde in der Öffentlichkeit geächtet, fand keine Festanstellung mehr und lebte fortan in sehr bescheidenen finanziellen Verhältnissen.
23 Jahre nach seinem Tod hob das Bezirksgericht St. Gallen 1995 das Urteil gegen Paul Grüninger auf, nachdem zuvor die St. Galler Regierung seinen Einsatz für das Leben anderer Menschen gewürdigt hatte.

Meine Mutter erinnert sich gut an Herrn Singer, ein in die Schweiz eingeschleuster jüdischer Juwelier aus Berlin.
Meine Grosseltern versteckten ihn für eine gewisse Zeit bei sich, bevor er nach Zürich zu Freunden zog.
Die Familie von Herrn Singer überlebte den Holocaust in Deutschland nicht.

Sehr in Gedanken vertieft verlasse ich das Museum und missachte beim Überqueren der Strasse die Losung “luege – loose – laufe”, fast werde ich von einer freundlichen Pedaleurin überrollt.

Auf dem Weg nach Hause parliere ich mit einem Mann, welcher im Begriff ist, in den Rhein zu steigen.
Seine Einladung, mit ihm das knapp 7 Grad warme Wasser zu geniessen, empfinde ich als sehr zuvorkommend und eher grenzwertig.
Ich danke ihm höflich und suche das Weite.

12. März 2021

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