Lektüre “Aron und der König der Kinder” von Jim Shepard

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Frühling ist missgestimmt, er hat sich erkältet, fröstelt, seine Nase trieft.
Erhaben und gelassen trotzen wunderbar blühende Pfirsichblüten und japanische Kirschblüten seiner schlechten Laune. Sie mahnen mich an Janusz Korczak.

Dieser polnische Arzt, Pädagoge und Schriftsteller leitete im Zweiten Weltkrieg ein jüdisches Waisenheim im Warschauer Ghetto, in welchem die eingeschlossenen jüdischen Personen unter der grausamen Willkür der deutschen Besatzer, an Hunger, an Fleckfieber, unter der Angst vor Deportation in ein Konzentrationslager litten.

Zusammen mit Stefania Wilczyńska, welche 1939 ihre Wahlheimat Palästina verliess um in Warschau bedürftigen Kindern beizustehen, versuchte Korczak ca. 200 Waisenkinder trotz Mangel an allem Notwendigen möglichst gut vor dem alltäglichen Horror im Ghetto abzuschirmen.
Für seine Schützlinge war er der unerschütterliche König, dem sie vertrauen konnten.

Der neunjährige Aron ist Mitglied einer jugendlichen Schmugglerbande. Er verliert nach und nach seine Eltern, seine Brüder, sein Zuhause.
Auf sich alleine gestellt, versucht er bei eisigen Temperaturen auf der Strasse irgendwie zu überleben.
Korczak nimmt ihn im Waisenhaus auf, rettet ihn vor dem Erfrierungs- und Hungertod, schenkt ihm Zuwendung.

In kleinen Schritten lernt Aron Gefühle zuzulassen, sich in die Schicksalsgemeinschaft des Waisenheims einzugliedern und sich nützlich zu fühlen.

Der amerikanische Autor Jim Shepard beschreibt aus der Sicht von Aron in sachlich formulierter Prosa dessen Erlebnisse, den Untergang des jüdischen Lebens in Warschau und den immer mühsamer werdenden Kampf von Korczak, er ist selber von Hunger und Sorge geschwächt, seiner Bestimmung als Waisenvater nachzukommen.

Janusz Korczak ist nicht nur im Ghetto bekannt und sehr beliebt.
Mehr als einmal schlägt er das Angebot, aus dem Ghetto geschmuggelt zu werden, aus.
“Seine” Kinder will er nicht im Stich lassen.

Am 5. August 1942 erzwingt die deutsche Besatzungsmacht die Räumung des Waisenhauses. Alle Kinder und ihre BetreuerInnen marschieren zum Umschlagplatz, wo sie in Zugwaggons gepfercht und ins Konzentrationslager Treblinka transportiert werden.

Augenzeugenberichte halten fest, dass die Heimleitung es schaffte, in ihren Kindern keine Angst aufkommen zu lassen, indem sie den Auszug aus dem Waisenhaus als einen gemeinsamen Ausflug zelebrierten.
Singend marschierte die Kinderschar zum Bahnhof, wo Korczak das Angebot erhielt, den Todeszug zu verlassen.
Scheinbar lautete seine Antwort: “Sie irren sich, nicht jeder ist ein Schuft”.

Die Lektüre weckt starke Emotionen, erscheint zeitlos, schwingt nach und motiviert mich mehr über die Ideale, Überzeugungen von Janusz Korczak und Stefania Wilczyńska und über ihre konkrete Arbeit mit “ihren” Kindern zu erfahren.

18. April 2021

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