Weihnachten 2022

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Eine Frau, ein älterer und ein junger Mann machen sich auf. Es ist dunkel, feucht und kalt draussen.
Das unbändige Verlangen ein menschliches Wesen, 49 cm klein, ca. 3400 Gramm schwer und 21 Stunden alt, kennenzulernen, zieht sie hinaus.

Sie leisten einer digital übermittelten Information Folge.
Den Weg zum Spital kennen sie, die Sterne scheinen sich im Wolkenbett auszuruhen.
Die kurze Wegdistanz erfordert nicht den Ritt auf einem stählernen Kamel.

Auf dem Hinweg passieren sie ein Gehege, in welchem Hirsche weiden, unter der dünnen Schneedecke nach Essbarem suchen.
Vor ihnen leuchten die Fenster der Klinik, vor deren Haupteingang ein prächtig dekorierter und erleuchteter Weihnachtsbaum der Dunkelheit und der angekündigten Strommangellage trotzt.

Die drei Nichtkönige warten im Foyer mit leeren Händen und übervollen Herzen ungeduldig auf das Baby und seine Eltern.
Magisch ist die Sensation jemanden zu lieben, den man noch nicht gesehen und lange herbeigesehnt hat.

Ältere Patienten schlurfen in Morgenmänteln und Winterjacken vorbei um draussen den Zigarettenrauch, gewürzt mit Schneeluft, aufzusaugen.
Äusserlich erfrischt schlurfen sie zurück ins Warme.

Einzigartig ist der Moment, in welchem wir uns über das wahr gewordene Wunder beugen, ihm nahe sein können.
Noah ist sehr klein, sehr fein, sehr schläfrig, nimmt uns Staunende wahrscheinlich nicht wahr.

Der gestrige Geburtskrampf nahm die junge Mutter sichtlich mit.
Sie und ihr Mann sind schlagartig in ihre neue Rolle als Mutter und Vater geschlüpft, scheinen dem bisherigen Alltag entrückt zu sein.

Die junge Familie wohnt momentan in einem Familienzimmer im Spital, nimmt sich unter professioneller Anleitung Zeit füreinander, lernt das Einmaleins des Stillens und das Wechseln der Windeln kennen.

Ich bin erleichtert, zutiefst bereichert und sprachlos, schwebe nach Hause.

Willkommen, geliebter Noah.

15. Dezember 2022

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