1975

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Musik und Prosa der schottischen Band Del Amitri haben es mir angetan.
Dies gilt speziell für einen Textabschnitt des Songs “When you were young”: “Schau jetzt in den Spiegel! Erkennst du jemanden, den du sein wolltest, als du jung warst”.

Vorgestern räumte ich ein bisschen auf, stiess auf ein Foto aus dem Jahr 1975, setzte mich, nahm mir die Zeit, mich zu erinnern, Erlebtes und die damit verbundenen Emotionen wieder hoch steigen zu lassen.

Die Aufnahme zeigt 10 junge Männer eines Basler Handballclubs, welche ein Handballturnier im Kanton Aargau gewannen und stolz den Siegerpokal präsentierten.
Alle Ohren sind, der damaligen Mode entsprechend, von Haaren bedeckt. Die wildeste Haarpracht ziert den Autor dieser Zeilen.

Wir waren ein erfolgreiches Team. 9 Monate nach dem Turniergewinn in Suhr wurden wir Schweizer Meister. Dies mit 2 – 3 wöchentlichen Trainings.
Ich kenne junge Männer, welche heute in der höchsten Leistungsklasse im Juniorenbereich spielen und dafür bis zu neunmal wöchentlich trainieren.

Unser damaliger Trainer hatte selber nicht Handball gespielt, er war ein Leichtathlet und ein fantastischer Mensch.
Dank ihm verliess ich mit sechzehn Jahren das erste Mal die Schweiz um an einem Handballturnier in Göteborg, Schweden, teilzunehmen.
Unser Coach opferte einen beträchtlichen Teil seiner Ferien, um uns dieses unvergessliche Erlebnis zu ermöglichen.

Mit wenigen Kollegen, die auf dem Bild verewigt sind, habe ich noch Kontakt.
Peter, unser Chef im Organisieren von feuchtfröhlichen Feten, posiert links von mir. Seine Freude am geselligen Zusammensein bei einem Trunk ist ihm treu geblieben.
Zwischendurch lebte er in Asien, jetzt wohnt er nahe der elsässischen Grenze.

Vor mir kauert Tom, unser damaliger Torwart und eine Seele von einem Mensch. Einige Jahre nach dieser Aufnahme verlor er seine Mutter auf tragische Art und Weise.

Neben ihm kniet Alex. Mit ihm und Peter reiste ich im Juli 1975 mit dem Zug nach Finnland, trank dort mein erstes Sauna-Bier, trotzte in einem kleinen Zelt anhänglichen skandinavischen Mücken, genoss in der Kleinstadt Jyväskylä das Ausbleiben der nächtlichen Dunkelheit.

Philipp, rechts von mir stehend, war ein herausragender Handballspieler. Leider liessen ihn seine Knie zunehmend im Stich.
Einige Zeit war er arbeitslos. Sein damaliger Arbeitgeber, eine Bank, hatte sich entschlossen, effizienter und kostengünstiger zu arbeiten. Seine neue Arbeitsstelle fand er in Zürich, seinem Wohnort in der Region Basiliensis blieb er treu.
Sein ältester Sohn entwickelte sich ebenfalls zu einem begnadeten Handballspieler. Auch seine Knie hielten der Belastung nicht stand.

Philipp war der Freund von Timon’s Schwester. Timon lächelt auf dem Foto unten rechts zu Paul, welcher den Handballgott im Himmel zu beschwören scheint.
Paul, aus Zürich an die Colmarerstrasse im Basler Scherbenquartier gezogen, sprach gerne, viel und schnell.
Schön war es bei ihm zu Haus Schallplatten von Queen und Genesis zu hören.

Das Foto berührt mich, weckt Erinnerungen, welche zu schlummern scheinen.

Der Jüngling mit den verschwitzten Haarsträhnen ist mir wieder sehr nahe. Ich scheine wieder in das gleiche Dress zu schlüpfen, wieder im Wettkampffieber zu stecken, alles um mich zu vergessen, mit meinen Freunden mich freuen, gemeinsam triumphieren zu dürfen.

Heute fällt das zunehmend grauer werdende Haar dem Schreibenden nicht mehr über die Ohren.
Gleich geblieben sind seine Leidenschaft für den Sport, die Freude am Sein.
Neueren Datums sind seine Dankbarkeit und das Staunen, dass 47 Jahre so schnell vorbeigehen.

20. Oktober 2022

1 Kommentar

  • Lieber Markus
    Mit Genuss las ich deine Zeilen und kramte danach auch alte Fotos hervor aus der Zeit um 1975.
    Danke für deinen Anstoss zu einer kleinen Lebensreflexion.
    Lieben Abendgruss
    Beat