Italienische Impressionen

I

Pünktlich um 06:25 Uhr verliess das Ehepaar Basilea SBB in Richtung Milano.
Die Julisonne lachte, Mann und Frau freuten sich auf das dolce fare sehr wenig am Strand von Terracina.

Um 09:12 Uhr zogen erste Wolken auf. Ein italienischer Zollbeamter erklärte einem Herrn italienisch und lautstark, was er von ihm hielt. Der ältere Reisende zog den Zorn des Staatsbeamten auf sich, weil er die in Italien vorgeschriebene FFP2-Maske nicht anziehen wollte. Seine Begründung, dass dies ein Schweizer Zug sei, entzündete den patriotischen Vulkan in seinem Gegenüber. Es flogen Fetzen, zum Glück keine Lavasteine.
Auf der Rückreise 13 Tage später kontrollierte der Schaffner lediglich die Gesichtsmasken, die Tickets interessierten ihn nicht.

Im Frecciarossa von Milano nach Roma wähnt man sich in einem Flugzeug, saust mit 300 Kilometern von Nord nach Süd. Die alten Städte und Türme auf den Höhenzügen links und rechts beeindruckt dies nicht wirklich, viel haben sie in ihrer Geschichte kommen und gehen sehen.
Auf allen Schnellzügen verlangt Trenitalia eine Reservationsgebühr von ca. 10 Euro. Wäre ich vorgestern im TGV von Basel nach Paris gereist, wären 79 Euro Reservierungsgebühr pro Person angefallen.

Mich interessiert die Chaostheorie.
Stehe ich in einer italienischen Grossstadt am Bahnhof, glaube ich Teil deren praktischen Umsetzung zu sein.
Vor den Perrons herrscht auf engem Raum stets ein enormes Gedränge von Reisenden, welche darauf warten, dass die Anzeigetafeln sie informieren, auf welchem Perron ihr Zug abfahren wird.
Erscheint die gewünschte Information, brechen Hektik und Unruhe aus, ordnen und regulieren sich bald wieder von alleine.

In Roma Termini stiegen wir in einen Regionalzug, welcher kräftig aufgeheizt und enorm überfüllt war.
Frau und Mann wähnten sich in einem Geisterzug. Kein Mensch sprach, wir nahmen Müdigkeit und Lustlosigkeit wahr. Jede Zugfahrt in der Schweiz wirkt dagegen wie ein gemütlicher Jassabend.
Das Klima wurde eisig, als eine Gruppe junger Farbiger einstieg. Die jungen Männer, meist ohne Gesichtsmaske, bauten sich demonstrativ lässig vor den Zugtüren auf.
Wenn Blicke sprechen könnten, hätte der Vesuv grollend und brüllend auf sich aufmerksam gemacht. Sicher wären Lavasteine geflogen.

Unsere Beobachtungen in den Ferien decken sich mit dem aktuellen politischen Geschehen. Momentan positioniert die postfaschistische Partei “i fratelli d’Italia” sich sehr erfolgreich mit ihrer Ablehnung der aktuellen Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik.

Ein lieber Freund, den wir nach dem Strandurlaub in Montefalco, auch Terrasse Umbriens genannt, besuchten, zeigte sich uns gegenüber sehr besorgt um sein geliebtes Italia.
Ihm machen die Armut vieler Menschen, die gewaltige Staatsverdrossenheit in der Bevölkerung Sorgen. Erklärend fügte er an”paghiamo molte tasse per lo stato e riceviamo pochi servizi dello stato”.
Kreativ gehen viele Personen mit der Angabe ihrer steuerbaren Einkünften um.

Ich liebe es morgens, mittags und abends auf einer Bank sitzend, den Blick auf die uralten Ortschaften Assisi, Spello, Foligno und Trevi, die Zypressen, Rebberge und Olivenbäume zu richten und meine Phantasie reisen zu lassen.

Vor bald 35 Jahren besuchten meine Geliebte und ich an einem kalten Wintertag Assisi das erste Mal. Die garstigen Temperaturen hielten Touristen fern und die Einheimischen davon ab, die Wärme ihrer Wohnhäuser zu verlassen.
Wir stiegen die engen Altstadtgassen hoch, mit jedem Schritt hatte ich das Gefühl der Zeitepoche, in welcher Franz von Assisi lebte, näher zu kommen. Einzig das Fauchen des Windes und unsere Schritte waren hörbar, die Moderne schien unten am Bahnhof Assisi im Nebel stecken geblieben zu sein.
Das Erscheinen des Heiligen in seiner braunen Kutte hätte mich nicht überrascht, magisch wirkte dieser Aufenthalt auf mich.

Unser Freund und seine Partnerin bewirtschaften 1400 Olivenbäume, das goldene Öl.
Ihre Gastfreundschaft ist ein wunderbares Geschenk, das Gemüse aus dem eigenen Garten mundet genial, der Rotwein Montefalco Sagrantiono, etwa 14% stark, wird mindestens 30 Monate gelagert. E buono.

Unser Freund liebt die Arbeit auf seinem riesigen Grundstück, reist geschäftlich um die Welt, handelt mit modernster Technologie, mag Motoren und die Person Franz von Assisi.
Ich mag ihn und seine Vielseitigkeit.

In Foligno, wo Franz von Assisi öffentlich seine vornehme Kleidung ablegte, geigte mir ein Mann auf italienisch lautstark seine Meinung.
Er sass auf einem Sims und bettelte um Geld. Ich setzte mich einige Meter neben ihm auf den Sims um auf meine Partnerin zu warten.
Nach einigen Minuten zog er erbost von dannen, mir vorwerfend, dass ich durch meine Präsenz die Leute davon abhalte, ihm Geld zu spenden.
Verdutzt nahm ich seinen Ausbruch zur Kenntnis. In Zukunft schaue ich, wo ich mich niederlasse, va bene.

1979 besang Francesco di Gregori in “Viva l’Italia” Stärken und Widersprüche seines Heimatlandes. 2022 haben seine Zeilen immer noch Bestand.
Viva l’Italia

23. Juli 2022

2 Kommentare

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  • Lieber Markus
    Italien macht gerade den grössten politischen Fehler, indem es den fähigen Draghi ziehen lässt und die Rechtspopulisten mächtig Auftrieb haben.
    Aber auch wenn keine Vulkan Steine fliegen werden, ich glaube an Italien.
    Es rappelt sich seit Jahrtausende immer wieder auf.
    Und evt schaut ja mal wieder Zeus auf der Insel vorbei und schenkt dank seiner amourösen Abenteuer (Leda) Italien ein neues Glück.
    Wir sind schon hier am Starnbergersee glücklich.
    Lieben Gruss
    Beat

  • Danke Markus,dass Du mich wieder auf einen schönen Spaziergang mitgenommen hast. Ich weiss nicht ob das allen so geht die Deine Zeilen lesen, ich konnte wieder tief eindringen in diese vrzauberte Welt, mit spazieren durch die engen Gassen, die speziellen Düfte wirken lassen und mich eifach ein wenig hinein ziehen lassen, ich genoss es. Herzlich Cécile