146’719 Schritte auf der Via Spluga

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Das smarte Phone weiss scheinbar genau, was Frau und Mann auf der viertägigen Wanderung zwischen Thusis und Chiavenna geleistet haben. Nicht nachvollziehen kann es die unzähligen Eindrücke dieser vier wolkenlosen Sommertage.

Auf geschichtsträchtigen Säumerwegen, angelegt und gesichert vor sehr vielen Jahren in mühsamer Handarbeit, nähern wir uns etappenweise in stetem Auf und Ab dem Splügenpass und Italien. Das braune Wegzeichen führt durch Wald, über Steinblöcke, durch Dörfer, über Passtrassen und Flüssen entlang sicher in die Lombardei.

Jeder Wandertag fordert und birgt die Möglichkeit, in Geschichte und Kultur einzutauchen. Am ersten Tag sind es die Viamala-Schlucht und die Kirche St.Martin in Zillis mit ihren wunderbaren Deckengemälden. Andächtig sitzen wir mit einem Spiegel in der Hand auf der Kirchenbank und bewundern das Kunstwerk über uns. Gerne würden wir uns mehr Zeit zum Staunen nehmen, doch die vorangeschrittene Tageszeit und die Aussicht auf weitere zwei Stunden Wanderzeit nach Andeer, Etappenziel, des ersten Tages, setzen uns erneut in Bewegung.

Zwischen Andeer und Splügen, Ziel des zweiten Tages, laden die Rofflaschlucht und das Festungswerk Crestawald zum Verweilen und Erkunden ein. 

Mann ist zutiefst beeindruckt ob der Biographie und der Leistung von Christian Pitschen-Melchior. Sieben Winter lang sprengte und schlug er vor mehr als 100 Jahren mit einfachstem Handwerkzeug eine Felsgalerie durch die Rofflaschlucht frei und ermöglichte so uns Vorbeikommenden ein gemütliches Verweilen unter einem tosenden Wasserfall des Hinterrheins.

Vor Sufers betreuen Mitglieder des Vereins Festungsmuseum Crestawald ehrenamtlich und mit viel Engagement die heute still gelegte Bergfestung. Ein Audioguide vermittelt nützliche Informationen über dieses dreigeschossige, komplett in den Berg gebaute Militärobjekt.

Den Splügenpass hinauf pfeifen wohl genährte Murmeltiere uns an oder zu oder aus oder…?

Der ehemalige Säumerweg kreuzt die Passstrasse. Moderne und Geschichte begleiten sich, hör- und sichtbar, auf der Via Spluga treu. Oft sind wir Ohren- und Augenzeugen des Privatverkehrs, welcher auch durch die engen Bergtäler brummt und rollt.

Italien empfängt uns heiss, Echsen sonnen sich auf den Felsen, eine Schlange döst auf dem Pfad, Schmetterlinge tanzen schwerelos und elegant. Das schwitzende Wanderpaar schaut ihnen neidisch zu.

Der Wanderweg bei Monte Spluga ist gesperrt, Wir weichen gezwungenermassen auf die moderne Asphaltvariante aus. 

Der Blick in die Cardinello-Schlucht ist spektakulär, das Hinabsteigen in diese erfordert Trittsicherheit und Aufmerksamkeit. Der schmale Weg windet sich in steilen Kurven um Felsen herum, Überholen ist nicht empfohlen. Uns ist schleierhaft, wie in früheren Zeiten Armeen diesen Canyon durchquerten, wie Waren zwischen Süd und Nord hier transportiert und geschleppt wurden.

Je tiefer wir steigen, desto üppiger und beinahe tropisch präsentieren sich Flora und Fauna. Sonnenschein und Wasser, welches in reichem Masse sich ins Tal ergiesst, lassen der Natur reichen Lauf. Tief im Gehölz weiden Ziegen, erkennbar an ihren umgehängten Glocken und an den Kotspuren auf dem Säumerpfad.

Eine 91-jährige Dame sitzt oberhalb von Isola vor einer Scheune, konzentriert auf ihre Strickarbeit. Murmeltiere auf der anderen Talseite veranstalten ein lautstarkes Pfeifkonzert, der Wind macht eine lange Siesta, wir dampfen.

Martino, Besitzer der Locanda Cardinello, bereitet uns Wandervögeln in Isola einen herzlichen Empfang. Um 19 Uhr offeriert er einen Apéro, erzählt über die spannende Geschichte seines Hauses, welches früher eine Posthaltestelle war. In der sehr alten Gaststube essen und trinken alle Hotelgäste miteinander. „La vita é bella, é bello cantarla“, Lucio Dalla hatte recht.

Am vierten Tag sind die restlichen circa 1000 Meter Höhenunterschied zwischen Isola und Chiavenna runter zu marschieren. 

Valchiavenna

Je näher wir unserem Ziel kommen, desto durstiger präsentieren sich die Temperaturen. Die Bar in San Giacomo Filippo, versteckt hinter der Kirche, erfrischt Gaumen und Lebensgeister. Kurz vor Chiavenna steigt die Via Spluga im Wald nochmals steil an, will uns scheinbar ein letztes Mal auf die Probe stellen.

Ein steiler Weg führt nach Chiavenna, runter, vorbei an stark duftenden Feigenbäumen und Lavendelblüten.

Glücklich und müde gratulieren wir Joanne und Nick aus London für die erbrachte Leistung. Wir verewigen uns mit unseren intelligenten Geräten und machen uns auf die Suche nach unseren Hotels. Zu unserem albergo sind es lediglich noch zwei Kilometer der Strasse entlang, welche Richtung St. Moritz führt. 

In der wunderbaren Pizzeria stossen wir abends an, viva la vita e la Via Spluga. VALE

25. Juli 2016

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