Falscher Jasmin

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Weder im Osten noch in Berlin
Wohnt unser Falscher Jasmin
An unserer Gartenmauer
Hängt er auf der Lauer
Dankbar für Insektenbesuch
Angelockt von seinem Geruch

Kann Falsches so schön sein und derart eindringlich duften?

Grenzen scheint er keine zu kennen. Vor einiger Zeit in Nachbarsgarten gepflanzt, windet er sich über die gemeinsame Steinmauer empor, sucht den kleinsten Halt um sich in die Länge und Breite auszudehnen.

Schon schlängelt er sich auf unserer Veranda im ersten Stock zwischen den Gitterstäben hindurch.
Ich warte darauf, dass er eines Nachts zwischen meinen Zehen sich festzuhaken versucht.

Momentan schmückt sich diese überaus fleissige Kletterpflanze mit weissen Blüten.

In den letzten Tagen bat mich mein Körper um ein wenig Ruhe.
Gerne tat ich ihm den Gefallen, um unter dem Jasmindach “der Wal und das Ende der Welt” zu lesen.
Stets hatte ich den Eindruck, einzelne Blüten guckten mir neugierig und fasziniert über die Schultern.

2014 schrieb der englische Autor John Ironmonger dieses Buch über Menschen in einem kleinen Dorf in Südengland, welche in einer globalen Pandemie, begleitet vom totalen Zusammenbruch der öffentlichen Verwaltung, miteinander um das Überleben kämpfen.

John Ironmonger formulierte vor acht Jahren Szenarien, welche in den vergangenen 2 Jahren teilweise Realität wurden.
Das Buch entwickelt sich nicht zu einer Apokalypse, weil die persönliche Überzeugung des Autors, dass wir Menschen lernfähig und sozial agierende Wesen sind, den Handlungsstrang prägt.

Erhellend und auch beklemmend sind die Nachbemerkungen, in welchen der britische Schriftsteller beschreibt, auf Grund welcher Informationen sein Werk entstanden ist.

Immer wieder legte ich die Lektüre zur Seite, erhob mich, um wie ein Rieseninsekt meine Nase in einzelne Blüten des Chinesischen Sternjasmins zu stecken, mich an seinem Duft und am Sein zu erfreuen.

26. Mai 2022

5 Kommentare

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  • Hoi Kussi,
    Merci für Deine Prosa.
    Falls Du Ärger hast mit Deinem Jasmin, schicke ihn einfach in unseren Garten, ich liebe seinen Duft.
    Wir sind im Moment mit den Velos in Apulien unterwegs, da duftet uns in jeder Kurve eine Jasminwolke entgegen , tolle Begrüßung …
    Liebe Grüße Ursula und Ruedi

  • Lieber Markus so schön deine Prosa.Ich stelle mir dein Jasmin vor ,frech,anschmiegsam und liebevoll. Weisser Jasmin schenkt man an Personen, die man “liebenswürdig”empfindet. Ein grosses Kompliment eurer Nachbarn, an euch.
    Danke dir und schicke euch sonnige Grüsse aus Spanien

  • Lieber Markus,
    Mit Freude habe ich den Text gelesen. Die Vielschichtigkeit, die Poesie verwoben
    mit deiner persönlichen Befindlichkeit und der Lektüre des Buches von John
    Ironmanger finde ich spannend. Die Ueberzeugung des Autors gefällt mir: Wir Menschen
    sind soziale Wesen und lernfähig auch mit 81 Jahren – was ich immer wieder erfahren
    darf,
    Ich freue mich auf weitere Beiträge.

  • Lieber Markus,
    Was für erkuickende Worte haben mich heute Abend erreicht. Sie klingen wie Musik und haben meine Seele erfreut. Herzlichen Dank.
    Bin leider nach einem Sturz auf das Gesich im Spiral gelandet. Deshalb bin ich besonders geöffnet für so schöne Worte.
    Herzlich Cécile

    • Hallo Cécile
      Ich wünsche dir gute Besserung.
      Unbekannter Weise, aber nicht minder herzlichst
      Thomas