Hüter Herkules

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Ich habe Freude an dem Oktoberfest auf dem Feigenbaum. Dessen reifen Früchte werden von Vögeln angestochen, genüsslich entkernt und des Fruchtfleischs entledigt.
Die Spatzen und Meisen agieren gekonnt und bedacht.

Vor einigen Jahren hatten sie hektischer agiert, waren sie mehr Stress ausgesetzt. Damals war Herkules beständig auf der Pirsch, flink und gierig.
Ich musste mehr als einmal eines seiner verletzten Opfer, mit welchen er spielte, erlösen.

Heute ist er, in Menschenjahren gezählt, etwa 85 Jahre alt. Er ist immer noch klein, zierlich, anschmiegsam, unser Liebling.
Neu hat er einen Tumor am rechten Vorderbein, welcher ihn humpeln lässt, ihm das Klettern auf den Feigenbaum verunmöglicht.

2004, unsere Jungmannschaft war voll im Saft und sich sehr oft nicht eins, kam Baby Herkules zu uns. Sofort konzentrierte sich die Energie unserer Jungs auf ihn.
Meine Geliebte und ich atmeten auf.

Unser Katzenjunges und ich lernten einander kennen, begannen miteinander kleine, liebevolle Rituale zu pflegen, welchen wir heute noch frönen.

Herkules zeichnet sich dadurch aus, dass er alles mit sich machen lässt, zutraulich, unendlich geduldig ist.
Eine Theorie in unserer Familie lautet, dass er in jungen Jahren zu viele Schwaden Cannabis aus Nachbars Garten inhalierte, welche ihn nachhaltig entspannten und lockerten.
Wer weiss?

Bald wurde er Hüter unseres Gartens.
Jede Katze, welche sich erdreistete sein Revier zu betreten, wurde angefaucht und mit erhobenem Buckel und aufgestelltem Schwanz bedroht.
Kämpfe hinterliessen blutige Spuren an Ohren und Augen.

Sein Dasein als Eunuch hielt ihn nicht davon ab, unterwegs zu sein und die Nachbarschaft zu erkunden.

Zusammen wurden wir älter.

Heute ist Herkules Hüter unseres Sofas.
Tag und Nacht döst er, lässt Scharen von Katzen durch den Garten streifen, die Vogelwelt ihr Oktoberfest zelebrieren. Ihn scheint das alles nicht mehr zu interessieren.
Wichtig sind ihm sein Essen und seine Katzenmilch und, so rede ich mir ein, unsere Streicheleinheiten.

Ich frage mich, ob und wie unser Haustiger das Altern, seine Krankheit und das Schwinden seiner Kräfte wahrnimmt!
Ängstlichkeit, Wehmut strahlt er nicht aus, viel mehr Würde und Gelassenheit.

Er beeindruckt mich, ich kann von ihm lernen.

29. Oktober 2021

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