Nachmittage an der Grenze zu Deutschland

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Regelmässig radelt Mann vor 15 Uhr an die Grenze zu Deutschland, wo seine Mutter seit einem Jahr Gast in einem Altersheim ist.

Maske auf, Hände desinfiziert. Der Weg in den ersten Stock ist frei, wo Frau E. über dem Boden zu schweben scheint.
Sie hat strahlende Augen, den Körper einer jungen Frau und ist 93 Jahre alt. Mann bewundert ihre Anmut.
Graziös schlüpft sie immer wieder aus dem Heim, löst damit Suchaktionen aus, weil sie sich nicht mehr an den Weg zurück erinnert.

In der kleinen Cafeteria im Erdgeschoss bearbeiten Mutter und Sohn Kreuzworträtsel der verschiedensten Zeitschriften.
Zwischendurch unterstützt sie Frau S., deren Gatte im Restaurant immer wieder einnickt.

Hoch konzentriert, lustvoll und erfolgreich beteiligt sich Frau C. beim Trionimos-Spiel.
10 Minuten nach dem Spiel fragt sie Mann, ob sie sich schon einmal begegnet sind.

Frau D. liebt es Fotos aus dem Jahr 1932 zu zeigen, auf denen sie als sechsjähriges Mädchen abgebildet ist. Fasziniert hört Mann ihr zu, wenn sie von früher erzählt.

Mit Herrn H., welcher auf den Rollstuhl angewiesen ist, tausche ich mich über die Irrungen und Wirren des lokalen Fussballclubs aus.

Am Freitagnachmittag ertönen aus dem grossen Sitzungszimmer Volkslieder.
Nach dem gemeinsamen Singen strömen Frau und Mann unterschiedlich schnell in die Cafeteria, welche den Charakter eines kleinen Dorfplatzes anzunehmen scheint.

Die Gelassenheit und der Schalk etlicher Heimbewohner*innen beeindrucken.

Nach 17 Uhr radle ich, bereichert und manchmal auch nachdenklich gestimmt, zum Rhein.

Eintauchen – abtauchen – auftauchen, das tut gut.

30. August 2020

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